Vereint durch Design

Galerie Glustin in Paris: Zwei Schwestern bringen ihr Antiquitätengeschäft weiter.

In einer Seitenstraße, nur einen Steinwurf entfernt vom Pariser Flohmarkt – bzw. „Les Puce“, wie man in Frankreich sagt – liegt ein ziemlich streng aussehender grauer Kasten mit Flachdach und vergitterten Fenstern. Hier haben die Schwestern Karine und Virginie Glustin ihre frühen Jahre verbracht. In der einen Hälfte des Gebäudes lebte die Familie Glustin. In der anderen Hälfte, die an eine Garage erinnert, betrieb Karines und Virginies Vater Serge sein Geschäft mit englischen Antiquitäten. Eine Tür im Wohnzimmer verband die beiden Gebäudeteile miteinander. „So konnten unsere Eltern arbeiten und gleichzeitig auf uns aufpassen“, erinnert sich die wunderbar wortgewandte Karine. 

Mitte der 1970er-Jahre zogen die Glustins in das schicke Pariser 16. Arrondissement, behielten ihr ursprüngliches Zuhause jedoch – und das bis heute. „Wir hängen sehr daran“, erklärt Virginie, die zwei Jahre jünger als ihre Schwester Karine ist. „Denn dort hat alles angefangen.“

Ein Paar Sessel aus den 1970er-Jahren im Showroom der Glustin-Schwestern auf dem Pariser Flohmarkt
In dem dreistöckigen Showroom auf dem Pariser Flohmarkt stellen Karine und Virginie Glustin Vintage-Objekte wie diese italienischen Sessel aus den 1970er-Jahren sowie selbst entworfene Möbelstücke aus. Oben: Die Cocktailtische, die in Zusammenarbeit mit dem französischen Künstler Geoffroy Nicolet entstanden sind, bilden den Mittelpunkt in einem der Galerieräume. Das ungewöhnliche Gemälde aus den 1980er-Jahren stammt von Villeney; das zweitteilige Sofa darunter ist eine Kreation von Studio Glustin. Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung der Galerie Glustin.

Die gut 500 Quadratmeter dienen heute als Ausweichquartier für die dreistöckige Galerie, die sich am Eingang des Marché Dauphine befindet, einem der 15 Märkte, aus denen Les Puces besteht, und sind eine wahre Fundgrube. Hier finden sich Schätze, die von einem riesigen Spiegel aus vergoldetem Holz aus dem 18. Jahrhundert bis hin zu einem eleganten italienischen orangefarbenen Sofa aus den 1970er-Jahren reichen. 

Als die Schwestern vor rund 20 Jahren die heutige Vorzeigeadresse entdeckten, befand sich das Gebäude in einem desolaten Zustand: „Die Treppe reichte nicht einmal bis zum obersten Stockwerk“, erinnert sich Karine. Heute ist die Galerie im Stil eines klassischen Pariser Herrenhauses gestaltet, mit Versailler Parkett, Marmorkaminen und feinster Holzvertäfelung, und die erste Adresse für viele der Top-Dekorateur*innen weltweit, darunter der New Yorker Tony Ingrao und Deborah Walker aus Dallas.

„Die Familie Glustin verkörpert die Seele dieses Flohmarkts. Virginie und Karine sind zurzeit die gefragtesten Anbieterinnen in Paris“, schwärmt die gebürtige Libanesin Aline Asmar d’Amman, zu deren Projekten unter anderem die Neugestaltung des Pariser Hôtel de Crillon und des mit einem Michelin-Stern ausgezeichneten Restaurants Le Jules Verne im zweiten Stock des Eiffelturms gehören. Sie besucht die Galerie vor allem, wenn sie auf der Suche nach „ganz besonderen Designstücke mit Seele und einzigartiger Präsenz“ ist. 

Ein weiterer großer Fan ist die Innenarchitektin Penny Drue Baird, deren Agentur dessins, llc Büros in Manhattan und der französischen Hauptstadt unterhält. „Das Besondere an Glustin sind die Unikate, der schiere Ideenreichtum, das Skurrile und die Lust am Insoliten [Ungewöhnlichen]“, erklärt sie.

Die modernen Formen des Sessels und Sofas „Colisée“ von Studio Glustin setzen einen zeitgemäßen Kontrapunkt zum opulenten Dekor im Pariser Ausstellungsraum Palais Vivienne.
Die modernen Formen des Sessels und Sofas „Colisée“ von Studio Glustin setzen einen zeitgemäßen Kontrapunkt zum opulenten Dekor im Pariser Ausstellungsraum Palais Vivienne.

An einem der letzten Sonntage konnte man im Erdgeschoss der Galerie unter anderem ein paar bauchige Glasfaser-Sessel aus den 1970er-Jahren, ein Paar geschwungene Eichensofas, die in den 1960er-Jahren von Guillerme et Chambron entworfen wurden, sowie eine Anrichte aus rissigem Beton, Bergkristall und Messing des zeitgenössischen Künstlers Erwan Boulloud bewundern. Die Ausstellungsstücke in der Galerie wechseln wöchentlich – denn den Glustins ist stete Weiterentwicklung wichtig: „Der Geschmack der beiden ändert sich laufend“, erklärt der in Georgien geborene Innenarchitekt Irakli Zaria. „Man weiß also nie, was man in der Galerie finden wird.“ 

Dennoch gibt es ein paar Konstanten: Wenn es um Vintage-Objekte geht, so haben Karine und Virginie eine Vorliebe für 70er-Jahre-Design und Glanz und Glamour. Außerdem bevorzugen sie ungewöhnliche Fundstücke gegenüber signierten Objekten. „Wir haben uns schon immer auf unseren Instinkt verlassen“, meint Karine. „Wir kaufen einfach das, was uns gefällt.“ 

Außerdem bieten die Schwestern eine Kollektion mit eigenen Limited-Edition-Designs an sowie Objekte, die sie exklusiv für die Galerie zusammen mit Künstler*innen entwickeln, deren Arbeiten sich durch höchste Handwerkskunst auszeichnen, wie zum Beispiel Boulloud und GEOFFROY NICOLET. „Erwan baut Möbel so, wie die Tischler im 18. Jahrhundert es getan haben“, erzählt Virginie. Und Boulloud wiederum schätzt an der Zusammenarbeit, dass die Glustins seine Karriere entscheidend geprägt haben: „Sie bringen mich immer wieder dazu, neue Ideen zu entwickeln.“

Die Begeisterung der Schwestern für traditionelles Savoir-faire geht auf ihren Großvater väterlicherseits zurück, einen Kunsttischler, der antike Stücke restaurierte und auch selbst Schränke fertigte. Anfang der 1960er-Jahre eröffnete er einen Stand auf dem Flohmarkt. Kurz darauf wurde er von Serge unterstützt, der die Objekte über Jahrzehnte hinweg im Anbau seines Hauses verkaufte und eine eigene Boutique im Herzen des Flohmarkts Marché Vernaison betrieb. „Als Kinder lebten wir in einer ziemlich magischen Welt“, erinnert sich Virginie. „Zu meinen intensivsten Erinnerungen gehört die Werkstatt meines Großvaters, in der es immer nach Lack und Wachs roch.“ 

„Damals war der Flohmarkt komplett anders“, sinniert Karine nostalgisch. „Er war sehr viel baufälliger. Die Stände waren dem Wetter ausgesetzt, eine Heizung gab es nicht. Im Winter waren unsere Füße immer völlig durchgefroren.“

Doch trotz der physischen Herausforderungen hat keine der beiden Schwestern je daran gedacht, eine andere Laufbahn einzuschlagen. Mit Anfang 20 hatte jede von ihnen ein eigenes Geschäft in Les Puces – vor zwei Jahrzehnten eröffneten sie dann zusammen mit ihrem Vater die heutige Galerie. 

Serge Glustin (zweiter von rechts) posiert mit seinen Töchtern Virginie (Mitte) und Karine (ganz rechts) und seinen Enkelsöhnen Ilan (ganz links) und Ruben (zweiter von links) für ein Familienfoto; alle vier sind in Serges Fußstapfen getreten und arbeiten als Möbelhändler*innen.
Serge Glustin (zweiter von rechts) posiert mit seinen Töchtern Virginie (Mitte) und Karine (ganz rechts) und seinen Enkelsöhnen Ilan (ganz links) und Ruben (zweiter von links) für ein Familienfoto; alle vier sind in Serges Fußstapfen getreten und arbeiten als Möbelhändler*innen.

Anfangs spezialisierte sich die Galerie auf Antiquitäten aus dem 18. und 19. Jahrhundert. „Wir bewundern die Qualität dieser Zeit und lieben Vergoldungen, Bronze und Marketerie“, so Karine. Aber da sich die Geschmäcke mit der Zeit änderten, änderten auch sie sich. Vor acht Jahren begannen sie, sich fast ausschließlich auf die dekorative Kunst des 20. Jahrhunderts zu konzentrieren. „Am Anfang wussten wir nicht sehr viel darüber“, gibt Karine zu. „Wir wollten einfach mal etwas anderes anbieten.“

Auf die Frage nach den außergewöhnlichsten Objekten, die im Laufe der Jahre durch ihre Hände gegangen sind, führen Karine und Virginie keine Möbelstücke an, sondern architektonische Elemente. Zum Beispiel ein Zimmer mit Wandverkleidungen aus dem 19. Jahrhundert aus einem Pariser Stadthaus in einer – wie sie es nennen – „Marie-Antoinette-Palette“ aus Blau- und Gelbtönen und mit einer viereinhalb Meter langen Stucktafel, die eine Landschaft in Nizza darstellt und ursprünglich für das Palais de la Méditerranée, eines der großen Hotels der Stadt, konzipiert worden war.

Eine Sache, für die die Glustins überhaupt nichts übrig haben, ist Minimalismus. „Es ist nicht unser Stil, lediglich ein Objekt mitten in den Raum zu stellen“, erklärt Virginie. Wenn es dagegen etwas gibt, das die beiden mehr als alles andere lieben, so ist es, neue Objekte für ihre Galerie zu kaufen. „Man weiß nie, was man findet“, verrät Karine mit einem Funkeln in den Augen. Nachdem sich die Glustin-Schwestern in den vergangenen Jahren fast ausschließlich mit dem 20. Jahrhundert beschäftigt haben, ist neuerdings ihr Interesse an älteren Objekten wieder entfacht, zum Beispiel an dieser japanischen Truhe aus dem 17. Jahrhundert, deren Beine wie Drachenköpfe gestaltet sind. 

Ihre Leidenschaft für die dekorative Kunst, ganz gleich aus welcher Epoche, scheint auch auf die nächste Generation übergegangen zu sein: Karines Sohn Ilan arbeitet mit in der Galerie; eines von Virginies Kindern, Ruben, hat in Les Puces eine eigene, auf Lampen spezialisierte Boutique eröffnet. Und obwohl ihr mittlerweile 81-jähriger Vater Serge vor sechs Monaten angekündigt hat, sich aus dem Geschäft zurückzuziehen, ist er immer noch sehr präsent. „Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass er jemals aufhört“, meint Karine. „Der Flohmarkt ist sein Leben – und das seit über 60 Jahren.“

Karine und Virginie Glustin – Gesprächspunkte

Sessel aus Glasfaser, 1970er-Jahre
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Sessel aus Glasfaser, 1970er-Jahre

„Uns gefällt die Form dieser beiden Sessel. Wir haben ein wenig recherchiert und herausgefunden, dass dasselbe Modell im Apartment des französischen Modedesigners Pierre Cardin stand.“

Marc Held für Knoll International,  Sesselpaar „Culbuto“, 1960er-Jahre
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Marc Held für Knoll International, Sesselpaar „Culbuto“, 1960er-Jahre

„Wir haben uns auf Anhieb in diese Sessel verliebt. Man findet kaum noch ein Paar, bei dem der Oberstoff und das rote Leder in perfektem Zustand sind. Dieses Modell wird im Musée des Arts Décoratifs in Paris ausgestellt.“

Franco Albini, Rattan-Loungesessel „Margherita“, 1960er-Jahre
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Franco Albini, Rattan-Loungesessel „Margherita“, 1960er-Jahre

„Italienisches Design und der Nachkriegsstil haben uns schon immer sehr inspiriert. Der Sessel „Margherita“ von Franco Albini hat 1951 die Goldmedaille bei der neunten Triennale di Milano gewonnen. Er gilt als der erste, in Italien designte Sessel ohne Beine und ist eine Hommage auf die traditionelle Handwerkskunst – in diesem Falle die Korbflechterei.“

Studio Glustin, Wandleuchten aus Alabaster, neu
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Studio Glustin, Wandleuchten aus Alabaster, neu

„Wir wollten eine Wandleuchte entwerfen, die eher an eine große Wandskulptur erinnert. Wir beide mögen runde Formen und versuchen nach Möglichkeit, sie in unsere Kreationen einfließen zu lassen.“

Französische Fischlampe, 1970er-Jahre
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Französische Fischlampe, 1970er-Jahre

„Diese Lampe haben wir in einem Haus in Südfrankreich gefunden – ein echter Glücksfall! Wir sind große Fans von Stücken, die die Flora und Fauna aufgreifen.“ 

Studio Glustin, Couchtisch „Flower“, neu
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Studio Glustin, Couchtisch „Flower“, neu

„Wir wollten einen kurvigen Couchtisch aus Travertin designen. Unsere weibliche Intuition brachte uns dann schnell zu Blütenblättern.“

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