10. Juli 2022„Sehr dunkel“, so beschreibt ihren Eindruck der Inneneinrichtung von Boy Georges Wohnhaus vor der Renovierung. Der Culture-Club-Star und Wegbereiter der Gender-Fluidität erwarb vor fast 40 Jahren das beeindruckende gotische Herrenhaus, das zugleich etwas gruselig anmutet. Es war die Zeit, als er mit Hits wie „Do You Really Want to Hurt Me“ von 1982 und „Karma Chameleon“ von 1983 reich und berühmt wurde. Erbaut in den 1860er-Jahren bestand es aus einem Sammelsurium von seltsam geformten Räumen, die fast wie Mausoleen wirkten. Die Fenster mit ihren farbenprächtigen Glasmalereien waren sehr schön, ließen aber keine Sonne durch. Der 1961 geborene George Alan O’Dowd alias Boy George beauftragte einen Architekten mit einem Erweiterungsbau. Als dieser im Jahr 2013 den entsprechenden Genehmigungsantrag bei der örtlichen Planungskommission einreichte, wies er darauf hin, dass die Villa „nicht über viel natürliches Licht verfüge“.
Hoppen ist ein Designstar: Sie schafft es, ihre berühmte Kundschaft glücklich zu machen und gleichzeitig ein halbes Dutzend eigener Unternehmen zu führen. Die international bekannte Wohnexpertin wurde als eine der herausragendsten Unternehmerinnen Großbritanniens ausgezeichnet; für ihre wohltätige Arbeit erhielt sie sogar die Auszeichnung „Commander of the Order of the British Empire“ (CBE). Sie lernte George über Freunde kennen. Als er sie und ihren Partner in ihrem gemeinsamen Zuhause in einer ehemaligen Lagerhalle im Westen Londons besuchte, war er davon ganz hin und weg, erinnert sie sich. „Er sagte: ‚Ich möchte, dass du mein Haus komplett umgestaltest. Und es soll dann genauso wie das hier aussehen.‘“ Diesen Satz hat Hoppen, die dafür bekannt ist, jede Art von Beige- und Taupe-Tönen in zauberhaften Kompositionen zu verarbeiten, schon öfter gehört.
Hoppen zufolge sagte sie zu George: „Ich glaube nicht, dass du das wirklich möchtest. Denn die Umgestaltung müssen wir ja auch immer im Kontext der Geschichte des Gebäudes betrachten. Und dabei muss die Einrichtung natürlich auch zu deinem Leben und Lebensstil passen. Es würde sich nicht richtig anfühlen, wenn es genauso aussähe wie bei mir zu Hause.“ Also machte sie sich auf den Weg, um George, sein Haus und die Dinge, die er in seiner vier Jahrzehnte währenden Karriere zusammengetragen hatte, kennenzulernen. (Im Alter von 61 Jahren legt George als DJ auf und nimmt weiterhin Musik auf.) Sie stellte zum Beispiel fest, dass er für seine Bilder und Zeichnungen, die oft cartoonartig und immer in Neonfarben gehalten sind, Platz brauchte. Giles Moulder, Partner des Londoner Büros F3 Architects, hatte bereits einen modernen Küchenanbau mit einer Glaswand entworfen, die wahrscheinlich mehr Licht hereinlässt als die übrigen Fenster des Hauses zusammen.
Das Erste, was Besucher*innen sehen, ist ein Eingangsbereich, der eher an ein Museum als an ein Haus erinnert. Von Marmorsäulen umrahmte Rundbögen führen zu einem Essbereich mit einem Chinoiserie-Tisch und passenden Stühlen − hier liest und schreibt George, erklärt Hoppen. Zum Stilmix aus Ost und West gehören u. a. Stühle mit hoher Lehne, die mit naturfarbenem Korbgeflecht bezogen sind. (East Meets West ist der Titel des ersten von fast einem Dutzend Büchern, die Hoppen verfasst hat.) Die von Boy George selbst gemalten Bilder setzen die passenden farbenfrohen Akzente. Sie sind so schrill, dass er Hoppen, als er ihr die Bilder zusandte, fragte: „Stehst du noch? Bekommst du noch Luft?“ Sie erinnert sich, geantwortet zu haben: „Nein, ich bin ganz entspannt.“ Und sie fügt hinzu: „Bei meinen Einrichtungsprojekten bildet eine neutrale Farbpalette stets die Grundlage, aber dazu setze ich auch viele Farbakzente.“
Besonders prägnant ist die außergewöhnliche gotische Treppe mit ihrem kunstvollen schmiedeeisernen Geländer, die über Balkone und Nischen in die oberen Etagen des Hauses führt. Aufgrund der Größe und Komplexität des sich über drei Etagen erstreckenden Raums war es besonders wichtig, dass jedes Objekt für sich wirken konnte. Hoppen setzte einen großen Block aus Carrara-Marmor eines Bildhauers mit dem treffenden Namen Paul Vanstone ein. Fotos von George beleben die Wände. In den Nischen gibt es alte und neue Fundstücke zu entdecken. Hier steht auch eine Kommode von Jimmie Martin, der Möbel mit Graffiti verziert. George hat dazu Martins Studio aufgesucht, sodass der Künstler das Objekt direkt besprühen konnte. Am ersten Treppenabsatz platzierte Hoppen eine ihrer Beschreibung nach „süße kleine gepolsterte Sitzbank“ und erklärt hierzu: „Ich mag den Kontrast zur Grandeur des Treppenhauses.“
Auf der anderen Seite der Treppe befindet sich das Hauptwohnzimmer mit einer aufwendig gestalteten Kassettendecke, für die Hoppen einen für sie typischen dezenten graubraunen Farbton wählte. An einem Ende des Raums ließ sie alte Ziegelsteine hervorblitzen − sie bilden den perfekten Hintergrund für Georges DJ-Pult. Auf der anderen Seite befindet sich ein großer konvexer Spiegel, der im Geiste des kreativen Ambientes des Hauses noch einen weiteren fröhlich-verspielten Akzent setzt. In der Mitte des Wohnzimmers kann man gleich zwischen mehreren gemütlichen Sitzgelegenheiten wählen (darunter getuftete Sessel von Nadin und Macintosh), die Hoppen nach eigenen Angaben so polstern ließ, dass sie „halb fertig und halb unfertig aussehen“. Eine Sitzbank unter dem Fenster ist mit auffallend groben Nähten versehen.
Einzelne Beistelltische tummeln sich wie Gäste auf einer Party im Raum; einige sind schlanke Bronzeobjekte, andere Holzscheiben, deren Sockel mit kontrastierenden Furnieren ins Auge fallen. Schlichte belgische Keramik mischt sich mit Boy Georges ausgefallenen Kunstobjekten und Accessoires von Marken wie .
Vom Wohnzimmer aus führt ein neuer Durchgang in die übergroße Küche. „George wünschte sich etwas eher Traditionelles“, erklärt Hoppen, die etwas geschaffen hat, das sie als „eine Interpretation einer Landhausküche“ bezeichnet. So wurden die Küchenschränke (von The Main Company) in verschiedenen Farben gestrichen − die Kaffeevorratskammer ist in schwarz gehalten. So hat man den Eindruck einer, wie Hoppen es ausdrückt, ganz individuell gestalteten Küche mit vielen maßgefertigten Einzelelementen und keiner seriengefertigten Küche.
Der einzige andere Raum im Haus, in den so viel Licht hineinscheint, ist wahrscheinlich Georges Badezimmer im Dachgeschoss, wo ein riesiges Oberlicht für Helligkeit sorgt. In einer Ecke des Gebäudes windet sich ein Schornstein wie eine Weinrebe. „Wir haben versucht, so viele natürliche Architekturelemente wie möglich zu erhalten, anstatt sie zu überdecken“, sagt Hoppen über die exzentrische Bauweise des Hauses. Sie wollte, dass das Bad Ruhe ausstrahlt, und setzte hier auf eine neutrale Farbpalette, einschließlich der weißen Metro-Fliesen und der naturfarbenen Verkleidung unter dem Waschbecken, die weit weniger auffällig ist als jedes Kleidungsstück, das der Hausbesitzer selbst tragen würde. Die skulpturale Form des Totem-ähnlichen Hockers von neben der Badewanne setzt hier einen ausgefallenen Akzent. An das Badezimmer schließt sich ein Ankleidezimmer von der Größe einer kleinen Wohnung an. Die Hängeleuchte von der sorgt für eine harmonische Beleuchtung. Der Polsterhocker in der Mitte ist mit Leinen von Pierre Frey gepolstert, die Schranktüren sind mit graubraunem Holzfurnier verkleidet.
Das gleiche Furnier bildet einen modernen Hintergrund für Georges weißes Lederkopfteil von , flankiert von -Lampen. Ein Foto von April Ashley, das er selbst aufgenommen hat, hängt über dem Vintage-Konsolentisch von Shimu. Die Transgender-Ikone verstarb im Dezember 2021. Im Gästeschlafzimmer steht ein Vintage-Schlittenbett in einem ähnlich minimalistischen Ambiente, dazu passend Hängelampen von Viaduct. Ein ABC-Sessel von und Beistelltische aus Holz von Andrew Martin fügen sich im Sitzbereich harmonisch zu einem Ensemble zusammen.
Der gemütlichste Raum im Haus ist wahrscheinlich das Fernsehzimmer, ein fensterloser ehemaliger Abstellraum. „Wir haben ihm eine warme, kuschelige Atmosphäre gegeben“, sagt Hoppen. So verwendete sie für den Raum mit der im Original erhaltenen Kassettendecke viel belgisches Leinen. Die Kamineinfassung funktionierte sie zu einer Art Vorbühne für den Fernseher um. Die Couchtische in Form von überdimensionierten Kieselsteinen von bilden einen wunderbaren Blickfang mit ihren glitzernden kohlefarbenen Oberflächen aus Stuckmarmor. Sie gehören zu Hoppens Lieblingsstücken und sind wahrscheinlich die einzigen Objekte, die sowohl in Boy Georges als auch ihrem Haus zu finden sind.
Alles andere wurde stets mit Blick auf den Popstar gekauft, maßgefertigt oder gestaltet. „Es war eine enorme Verantwortung, die Lebensgeschichte eines Menschen zu erfassen und diese in die Gestaltung seines Zuhauses einfließen zu lassen“, erklärt Hoppen. „Ich hatte das Gefühl, dass wir während des gesamten Gestaltungsprozesses stets eng miteinander verbunden waren.“
