An einem Wochentag im September 2017 telefonierte der Innenarchitekt David Carter gerade in seinem Büro im Londoner East End, als es unerwartet an der Tür klingelte. Vor dem Eingang stand ein Paar mit seinem einjährigen Kind. „Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wer sie waren und warum sie gekommen waren“, erinnert er sich. „Sie hatten keinen Termin vereinbart. Ich war etwas überrascht und wollte sie erst gar nicht hereinlassen, schließlich hatte ich an diesem Nachmittag andere Dinge zu tun.“ Dennoch beeindruckte ihn ihre Erscheinung: „Sie waren beide tadellos gekleidet, wirkten beinahe, als kämen sie gerade von ihrer Luxusjacht.“
Tatsächlich waren sie kurz davor, in ein Flugzeug zu steigen, das sie für sechs Monate in die USA bringen sollte. Vor ihrer Abreise wollten sie mit Carter sprechen: Sie hatten einen Mietvertrag für ein stattliches Haus aus dem 19. Jahrhundert in der Nähe des Holland Parks im Londoner Stadtteil Kensington unterzeichnet und wollten wissen, ob er interessiert sei, für die Innenausstattung zu sorgen. Als Carter sich das Gebäude ein paar Tage später ansah und die Spuren einer kürzlichen Renovierung wahrnahm, wurde sofort klar, warum das Paar dringend Unterstützung brauchte. Er erinnert sich an „grausige Tischlerarbeiten, schreckliche orangefarbene Fußböden, seltsam gemusterte Tapeten und Bäder im Stil der Siebzigerjahre.“ Ein „grässlicher“ Aufzug und ein „furchtbar enges“ Treppenhaus rundeten das Bild ab.
Es war, wie er sagt, „komplett verrückt“. Da die Familie das Haus gemietet hatte, waren größere bauliche Veränderungen keine Option. Stattdessen waren seine magischen Fähigkeiten in Sachen Innenausstattung gefragt.
Diese Fähigkeiten hat Carter in den vergangenen 30 Jahren erfolgreich unter Beweis gestellt – so erfolgreich, dass AD Italy ihn als „Meister der Illusion“ betitelte. Seine Leidenschaft für die Inneneinrichtung entwickelte der Designer schon in früher Jugend. Seine Mutter handelte mit Antiquitäten, und er selbst bot bereits im Alter von 12 Jahren auf Auktionen mit.
Carters professioneller Werdegang begann zunächst als freiberuflicher Marketingberater. Mit Ende 20 wechselte er die Branche und befasste sich fortan professionell mit Interieurs, nachdem seine Wohnung im Londoner Stadtteil Islington auf der Titelseite von The World of Interiors abgebildet wurde. Er hatte die Wohnung für sich selbst eingerichtet, und eine von Carter beauftragte Gardinenfirma hatte einem Fotografen der Zeitschrift einen Tipp gegeben. Innerhalb kürzester Zeit beschrieb die Zeitschrift zwei weitere seiner Projekte: sein eigenes „Viertel eines Châteaus“ in der Normandie und eine wunderbar schräge Zahnarztpraxis in der nahe gelegenen Hafenstadt Cherbourg. Letztere war unter anderem mit einem mit Trompe-l’Œil-Zähnen verzierten Gesims und einer Grisaille-Tapete gestaltet, die mit medizinischen Instrumenten dekoriert war. Überschrieben war der Artikel mit dem passenden Titel „Driller Thriller“.
Carter beschreibt seinen Stil als „Luxus für Menschen, die das Risiko lieben“, und erklärt, dass seine Kundschaft sich in der Regel nicht mit einem Briefing für ihn aufhält: „Sie möchten einfach etwas anderes.“
Das galt auch für das Kundenpaar vom Holland Park, das über seine Arbeit aus der Presse erfahren hatte – hier war es nur so, dass jeder der beiden etwas anderes wollte. „Sie sind diametrale Gegensätze“, sagt Carter über das Paar, eine brasilianische Ehefrau mit ihrem österreichischen Mann und zwei jungen Söhnen. „Er hätte gern alles in Weiß, hier etwas Schwarz, dort etwas Gold, aber sehr maskulin. Sie liebt Farben und Muster, Schmetterlinge und Blumen.“
Einen Moment lang erwog er, sich von Castle Ward, einem nordirischen Anwesen aus dem 18. Jahrhundert, inspirieren zu lassen, das heute dem National Trust gehört. „Es befand sich früher im Besitz von Lord und Lady Londonderry, die sich nicht über den Stil des Hauses einigen konnten“, berichtet Carter. „Sie trafen eine sehr partnerschaftliche Vereinbarung, bei der sie buchstäblich eine Linie in der Mitte zogen: Die eine Hälfte ist neoklassisch, die andere im neogotischen Stil von Strawberry Hill gestaltet“, verweist er auf Horace Walpoles 1749 im Londoner Stadtteil Twickenham erbaute Villa.
Letztendlich übernahm das brasilianische Temperament der Ehefrau die Hauptrolle. Ihr Mann erhielt einige ruhigere Momente, unter anderem ein edles, maskulin wirkendes Arbeitszimmer im Erdgeschoss und das zurückhaltend gestaltete Schlafzimmer. In den anderen Räumen des Hauses ging Carter richtig zur Sache: Er kreierte eine fröhliche Mischung aus kühn gemusterten Stoffen, Chinoiserie -Tapeten von de Gournay und funkelnden Kronleuchtern.
Das Foyer gibt den Ton an. „Eingangsbereiche habe ich schon immer gern gestaltet“, so Carter. „Es gibt diesen magischen Moment, wenn man die Tür öffnet. Als würde man in das fiktive Narnia eintreten. Man ist sofort in einer anderen Welt.“ Hier werden die Gäste von einer drei Meter hohen Apollo-Statue aus dem 18. Jahrhundert am Fuß der Haupttreppe und einem üppigen Gemälde des französischen Künstlers Adolphe Lalyre empfangen. Carter beschreibt das von der Galerie de Souzy erworbene Gemälde als „eine Art Schwarm nackter Wassernymphen, die auf leicht provokante Weise herumliegen“.
Ähnlich theatralisch geht es auch in anderen Räumen zu: Unter dem von der Londoner Dekorationskünstlerin Timna Woollard gestalteten Trompe-l’Œil-Himmel an der Decke des Wohnzimmers laden imposante Sessel im „William und Mary“-Stil zum Relaxen ein.
„Man könnte sich die Sessel in der Wohnung eines Filmstarts der Dreißigerjahre vorstellen“, bemerkt Carter, der die Sitzmöbel mit ziseliertem Samt von Tassinari & Chatel neu beziehen ließ. „Sie wirken wie päpstliche Throne.“
Ein noch beeindruckenderes Material – die farbenfrohe Chinoiserie-Baumwolle „Mimi“ von Voutsa – wählte Carter für einen Vintage-de-Sede-Drehsessel von Sasha Bikoff Interior Design, der einem boudoirähnlichen Raum neben dem Schlafzimmer Pracht verleiht. Hier befindet sich auch ein eigens angefertigter Karussellschrank, der die umfangreiche Kollektion oft vielfarbiger Schuhe der Ehefrau beherbergt. „Dieses Karussell hat ein enormes Gewicht – ein beeindruckendes technisches Werk“, staunt Carter.
Einer seiner Lieblingsräume ist ein Gästezimmer im Obergeschoss des Hauses. Hier hat er ein Bett im Louis XV.-Stil eingerichtet, das von einem vergoldeten Metallbaldachin aus dem Frankreich des 19. Jahrhundert gekrönt wird. Die Wände ließ er mit Bohlen aus kanadischer Kiefer verkleiden, die auf die österreichischen Wurzeln des Ehemanns anspielen. „Dies ist eine Art Prinzessinnen-Schlafkammer mit dem Charakter eines in den Alpen spielenden Märchens. Solche Arbeiten mache ich sehr gerne“, erklärt Carter. „Sie haben eine gewisse Verspieltheit.“
Jetzt, da das Projekt abgeschlossen ist, erinnert er sich an seine anfängliche Zurückhaltung gegenüber der unerwarteten Kundschaft. „Die Moral von der Geschichte ist, dass das Glück wirklich hin und wieder an deine Tür klopft“, meint er. „Wäre doch blöd, es wegzuschicken!“