Designer-Spotlight

David Carter bringt Esprit und Drama in ein großes Londoner Wohnhaus aus dem 19. Jahrhundert

Als der Londoner Innenarchitekt David Carter das Haus seiner neuen Kundschaft zum ersten Mal erblickte, war sein Fazit eindeutig: In dem in der Nähe des Holland Parks gelegenen Anwesen aus dem 19. Jahrhundert gab es sehr viel Arbeit. Es war, erinnert er sich, „komplett verrückt“. Oben: Mithilfe von Carters Magie wurden elegante Räume wie dieses Wohnzimmer mit Hochlehner-Sesseln im William und Mary-Stil und einem bei Guinevere Antiques erworbenen „Lily Pad“-Couchtisch von Paula Swinnen geschaffen. Über dem Kamin flankieren Wandleuchter von Yew Tree House Antiques das Porträt Lady as Flora von Philippe Mercier – Porträt und Leuchten datieren aus dem 18. Jahrhundert. Alle Fotos: Andreas von Einsiedel

An einem Wochentag im September 2017 telefonierte der Innenarchitekt David Carter gerade in seinem Büro im Londoner East End, als es unerwartet an der Tür klingelte. Vor dem Eingang stand ein Paar mit seinem einjährigen Kind. „Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wer sie waren und warum sie gekommen waren“, erinnert er sich. „Sie hatten keinen Termin vereinbart. Ich war etwas überrascht und wollte sie erst gar nicht hereinlassen, schließlich hatte ich an diesem Nachmittag andere Dinge zu tun.“ Dennoch beeindruckte ihn ihre Erscheinung: „Sie waren beide tadellos gekleidet, wirkten beinahe, als kämen sie gerade von ihrer Luxusjacht.“

Tatsächlich waren sie kurz davor, in ein Flugzeug zu steigen, das sie für sechs Monate in die USA bringen sollte. Vor ihrer Abreise wollten sie mit Carter sprechen: Sie hatten einen Mietvertrag für ein stattliches Haus aus dem 19. Jahrhundert in der Nähe des Holland Parks im Londoner Stadtteil Kensington unterzeichnet und wollten wissen, ob er interessiert sei, für die Innenausstattung zu sorgen. Als Carter sich das Gebäude ein paar Tage später ansah und die Spuren einer kürzlichen Renovierung wahrnahm, wurde sofort klar, warum das Paar dringend Unterstützung brauchte. Er erinnert sich an „grausige Tischlerarbeiten, schreckliche orangefarbene Fußböden, seltsam gemusterte Tapeten und Bäder im Stil der Siebzigerjahre.“ Ein „grässlicher“ Aufzug und ein „furchtbar enges“ Treppenhaus rundeten das Bild ab. 

Im Familienzimmer steht eine Pfauentischlampe aus den 1930er-Jahren aus dem Nachlass von Gloria Vanderbilt auf einem antiken chinesischen Ulmenholzschrank von London Fine Antiques. Die Sofas und das Tagesbett stammen von Christian Liaigre, die Tapete ist „L‘Eden“ von de Gournay.

Es war, wie er sagt, „komplett verrückt“. Da die Familie das Haus gemietet hatte, waren größere bauliche Veränderungen keine Option. Stattdessen waren seine magischen Fähigkeiten in Sachen Innenausstattung gefragt.

Diese Fähigkeiten hat Carter in den vergangenen 30 Jahren erfolgreich unter Beweis gestellt – so erfolgreich, dass AD Italy ihn als „Meister der Illusion“ betitelte. Seine Leidenschaft für die Inneneinrichtung entwickelte der Designer schon in früher Jugend. Seine Mutter handelte mit Antiquitäten, und er selbst bot bereits im Alter von 12 Jahren auf Auktionen mit. 

Carters professioneller Werdegang begann zunächst als freiberuflicher Marketingberater. Mit Ende 20 wechselte er die Branche und befasste sich fortan professionell mit Interieurs, nachdem seine Wohnung im Londoner Stadtteil Islington auf der Titelseite von The World of Interiors abgebildet wurde. Er hatte die Wohnung für sich selbst eingerichtet, und eine von Carter beauftragte Gardinenfirma hatte einem Fotografen der Zeitschrift einen Tipp gegeben. Innerhalb kürzester Zeit beschrieb die Zeitschrift zwei weitere seiner Projekte: sein eigenes „Viertel eines Châteaus“ in der Normandie und eine wunderbar schräge Zahnarztpraxis in der nahe gelegenen Hafenstadt Cherbourg. Letztere war unter anderem mit einem mit Trompe-l’Œil-Zähnen verzierten Gesims und einer Grisaille-Tapete gestaltet, die mit medizinischen Instrumenten dekoriert war. Überschrieben war der Artikel mit dem passenden Titel „Driller Thriller“. 

Im Frühstücksraum umgeben mit Shangri-La-Stoff von Lizzo bezogene Liaigre-Esszimmerstühle eine Sonderanfertigung des „Stag“-Tisches von Nigel Coates mit Glasplatte. Die beiden Wandpaneele sind mit Vintage-Pressblumen gestaltet – sie stehen für die Naturliebe der Familie.

Carter beschreibt seinen Stil als „Luxus für Menschen, die das Risiko lieben“, und erklärt, dass seine Kundschaft sich in der Regel nicht mit einem Briefing für ihn aufhält: „Sie möchten einfach etwas anderes.“

Das galt auch für das Kundenpaar vom Holland Park, das über seine Arbeit aus der Presse erfahren hatte – hier war es nur so, dass jeder der beiden etwas anderes wollte. „Sie sind diametrale Gegensätze“, sagt Carter über das Paar, eine brasilianische Ehefrau mit ihrem österreichischen Mann und zwei jungen Söhnen. „Er hätte gern alles in Weiß, hier etwas Schwarz, dort etwas Gold, aber sehr maskulin. Sie liebt Farben und Muster, Schmetterlinge und Blumen.“ 

Ein „Melbury“-Tagesbett von Francis Sultana steht am Fußende des „Savoir“-Bettes. Im Erker flankiert ein Sesselpaar von Guglielmo Ulrich eine bronzene Tischleuchte von Maison Charles, beides Objekte aus den 1940er-Jahren. Die Porträtaufnahme über dem Kaminsims ist eine Arbeit des Modefotografen Vincent Peters.

Einen Moment lang erwog er, sich von Castle Ward, einem nordirischen Anwesen aus dem 18. Jahrhundert, inspirieren zu lassen, das heute dem National Trust gehört. „Es befand sich früher im Besitz von Lord und Lady Londonderry, die sich nicht über den Stil des Hauses einigen konnten“, berichtet Carter. „Sie trafen eine sehr partnerschaftliche Vereinbarung, bei der sie buchstäblich eine Linie in der Mitte zogen: Die eine Hälfte ist neoklassisch, die andere im neogotischen Stil von Strawberry Hill gestaltet“, verweist er auf Horace Walpoles 1749 im Londoner Stadtteil Twickenham erbaute Villa.

Carter gestaltete die Wände des mit gebeizten Eichendielen ausgestatteten Ankleidezimmers mit de Gournays Design „Japanischer Garten“.

Letztendlich übernahm das brasilianische Temperament der Ehefrau die Hauptrolle. Ihr Mann erhielt einige ruhigere Momente, unter anderem ein edles, maskulin wirkendes Arbeitszimmer im Erdgeschoss und das zurückhaltend gestaltete Schlafzimmer. In den anderen Räumen des Hauses ging Carter richtig zur Sache: Er kreierte eine fröhliche Mischung aus kühn gemusterten Stoffen, Chinoiserie -Tapeten von de Gournay und funkelnden Kronleuchtern. 

Das Foyer gibt den Ton an. „Eingangsbereiche habe ich schon immer gern gestaltet“, so Carter. „Es gibt diesen magischen Moment, wenn man die Tür öffnet. Als würde man in das fiktive Narnia eintreten. Man ist sofort in einer anderen Welt.“ Hier werden die Gäste von einer drei Meter hohen Apollo-Statue aus dem 18. Jahrhundert am Fuß der Haupttreppe und einem üppigen Gemälde des französischen Künstlers Adolphe Lalyre empfangen. Carter beschreibt das von der Galerie de Souzy erworbene Gemälde als „eine Art Schwarm nackter Wassernymphen, die auf leicht provokante Weise herumliegen“.

Eine Apollo-Statue aus dem 18. Jahrhundert und ein Gemälde von Adolphe Lalyre aus der Galerie de Souzy ziehen im Foyer die Aufmerksamkeit auf sich. Eine Konsole aus den 1930er-Jahren von Marc du Plantier und ein venezianischer Spiegel mit geätztem Glas, erworben von Legacy Antiques, bereichern den Raum zusätzlich.

Ähnlich theatralisch geht es auch in anderen Räumen zu: Unter dem von der Londoner Dekorationskünstlerin Timna Woollard gestalteten Trompe-l’Œil-Himmel an der Decke des Wohnzimmers laden imposante Sessel im „William und Mary“-Stil zum Relaxen ein. 

„Man könnte sich die Sessel in der Wohnung eines Filmstarts der Dreißigerjahre vorstellen“, bemerkt Carter, der die Sitzmöbel mit ziseliertem Samt von Tassinari & Chatel neu beziehen ließ. „Sie wirken wie päpstliche Throne.“ 

Das Schuh- und Taschenzimmer der Ehefrau dient gleichzeitig als Homeoffice. In diesen Raum stellte Carter einen Vintage-de-Sede-Chefdrehsessel von Sasha Bikoff Interior Design, eine von Christine Kilger individuell gefertigte „Golden Peony“-Tischlampe und einen Schreibtisch von Oficina Inglesa. Das Schuhkarussell ist eine Sonderanfertigung.

Ein noch beeindruckenderes Material – die farbenfrohe Chinoiserie-Baumwolle „Mimi“ von Voutsa – wählte Carter für einen Vintage-de-Sede-Drehsessel von Sasha Bikoff Interior Design, der einem boudoirähnlichen Raum neben dem Schlafzimmer Pracht verleiht. Hier befindet sich auch ein eigens angefertigter Karussellschrank, der die umfangreiche Kollektion oft vielfarbiger Schuhe der Ehefrau beherbergt. „Dieses Karussell hat ein enormes Gewicht – ein beeindruckendes technisches Werk“, staunt Carter.

Im Esszimmer wird eine gewaltige Cloisonné-Vase von zwei lackierten chinesischen Beistelltischen aus dem 19. Jahrhundert flankiert. Die Pfauenkerzenhalter auf dem Tisch sind ein Entwurf von Oriel Harwood. Von de Gournay stammen die im Auftrag von Carter handbemalten Paneele für die Rückenlehnen der Stühle.

Einer seiner Lieblingsräume ist ein Gästezimmer im Obergeschoss des Hauses. Hier hat er ein Bett im Louis XV.-Stil eingerichtet, das von einem vergoldeten Metallbaldachin aus dem Frankreich des 19. Jahrhundert gekrönt wird. Die Wände ließ er mit Bohlen aus kanadischer Kiefer verkleiden, die auf die österreichischen Wurzeln des Ehemanns anspielen. „Dies ist eine Art Prinzessinnen-Schlafkammer mit dem Charakter eines in den Alpen spielenden Märchens. Solche Arbeiten mache ich sehr gerne“, erklärt Carter. „Sie haben eine gewisse Verspieltheit.“ 

Im Gästezimmer im Obergeschoss thront ein vergoldeter französischer Metallbaldachin aus dem 19. Jahrhundert über einem Bett im Louis XV.-Stil. Die Liebespaar-Tischlampe aus Meissener Porzellan wurde bei JMD Boutique erstanden.

Jetzt, da das Projekt abgeschlossen ist, erinnert er sich an seine anfängliche Zurückhaltung gegenüber der unerwarteten Kundschaft. „Die Moral von der Geschichte ist, dass das Glück wirklich hin und wieder an deine Tür klopft“, meint er. „Wäre doch blöd, es wegzuschicken!“


David Carters Schnellauswahl

Jean-Gabriel Domergue, <i>La Loge</i>, ca. 1930, angeboten von Galerie de Souzy
Jetzt shoppen
Jean-Gabriel Domergue, La Loge, ca. 1930, angeboten von Galerie de Souzy

„Die theatralischen Gesellschaftsporträts von Künstlern wie Giovanni Boldini und Philip de László mochte ich schon immer. Auch Jean-Gabriel Domergue war ein Meister dieses Genres – er verwandelte seine Porträt-Modelle in glamouröse Femmes fatales. Dies ist ein fantastisches Beispiel für sein Werk. Wer verbrächte nicht gerne einen Abend in der Gesellschaft dieses eleganten Paares?“

Gustavianische Stühle, 1790–1810, angeboten von Laserow Antiques
Jetzt shoppen
Gustavianische Stühle, 1790–1810, angeboten von Laserow Antiques

„Altes und Neues zu mischen, ist manchmal schwierig, aber gustavianische Möbel scheinen mit ihrer raffinierten Eleganz immer zu passen, selbst in den modernsten Interieurs. Diese Stühle wirken mit großer Leichtigkeit stilvoll – egal, wo sie eingesetzt werden.“

André Arbus, Wandleuchten in Handform, 1940, angeboten von Thomas Brillet Inc
Jetzt shoppen
André Arbus, Wandleuchten in Handform, 1940, angeboten von Thomas Brillet Inc

„In meinen Entwürfen verzichte ich weitgehend auf Deckenbeleuchtung, stattdessen verwende ich sehr viele Tischlampen, Stehlampen und Wandleuchten. Diese Wandleuchten erinnern sehr an Jean Cocteau. Entworfen hat sie André Arbus, einer meiner französischen Lieblingsdesigner. Sie bereichern (und erhellen) jedes Interieur mit Witz und Glamour.“ 

Mark Brazier-Jones, „Akasha“-Konsole, 2021, angeboten von Maison Gerard
Jetzt shoppen
Mark Brazier-Jones, „Akasha“-Konsole, 2021, angeboten von Maison Gerard

„Ich arbeite nun schon seit fast dreißig Jahren mit Mark Brazier-Jones zusammen. Er ist ein Genie, und ich sage das nicht nur, weil er einen seiner Kronleuchter (das Modell Lord Carter) nach mir benannt hat. Seine Arbeiten haben schon immer die Grenzen von Form und Funktion erweitert, und ich freue mich sehr über seinen Erfolg. Seine Objekte erzielen inzwischen sechsstellige Summen bei Galerien und in Auktionshäusern.“

Anthony Redmile, Couchtisch, ca. 1970, angeboten von Pushkin Antiques Ltd
Jetzt shoppen
Anthony Redmile, Couchtisch, ca. 1970, angeboten von Pushkin Antiques Ltd

„Herausragende Interieurs brauchen etwas Verspieltheit und eine Persönlichkeit. Das hat niemand besser verstanden als der verstorbene Anthony Redmile. Seine Besessenheit von der natürlichen Welt fand in seinen Werken schon drei Jahrzehnte vor Alexander McQueens „Savage Beauty“-Ästhetik ihren Ausdruck. Dieses Objekt ist ein fantastisches Beispiel für Redmiles Werk.“

Qing-Periode, Himmelbett <i>„ju-mu“</i>, 19. Jahrhundert, angeboten von Altfield Gallery
Jetzt shoppen
Qing-Periode, Himmelbett „ju-mu“, 19. Jahrhundert, angeboten von Altfield Gallery

„Ein interessantes oder ungewöhnliches Bett kann ein Schlafzimmer vollständig verändern. Angemessen „eingekleidet“ ist dieses chinesische Himmelbett ein echter Hingucker. Ich würde es mit einer Tapete von de Gournay kombinieren, um die ultimative Boudoir-Atmosphäre zu erzeugen.” 

Loading next story…

No more stories to load. Check out The Study

No more stories to load. Check out The Study