Designer-Spotlight

Die Londoner Innenarchitektin Natalia Miyar zelebriert die Schönheit luxuriöser Materialien

Porträt von Natalia Miyar
Natalia Miyar gründete nach ihrem Kunstgeschichte- und Architekturstudium in den USA und ihrer Tätigkeit für renommierte britische Unternehmen im Jahr 2016 ihr eigenes Designstudio in London. Ihr Schwerpunkt liegt nach wie vor auf hochgradig auf Kundenwünsche angepassten Räumen mit maßgefertigten Möbeln (Porträt mit freundlicher Genehmigung von Natalia Miyar). Oben: In dieser Wohnung in der Londoner Battersea Power Station gruppieren sich ein Sesselpaar von Paolo Moschino mit Messingrahmen und ein Paar samtbespannte Drehsessel um ein Trio von Beistelltischen mit Platten aus bronzierter Eiche. Der Raumteiler im Brutalismus-Stil ist ein Vintage-Objekt. Foto: Simon Brown

Was für eine Karriere stellt man sich für eine Jugendliche aus Miami vor, die ihre Ferien in Europa damit verbrachte, Kirchen und Renaissancebauten zu erkunden und die später an der renommierten Brown University Kunstgeschichte studierte? Antiquitätenhändlerin? Eine akademische Laufbahn? Kuratorin für ein Museum? In Natalia Miyars Fall läge man mit diesen Prognosen aber daneben. Sie nutzte all dies als Sprungbrett für ihre Entwicklung zu einer der führenden Vertreterinnen herausragender modernistischer Innenarchitektur. Ihr Erfolg manifestiert sich in der enormen Fangemeinde, die sie seit der Gründung ihres Londoner Studios 2016 für sich gewinnen konnte.

In ihrer Ästhetik geht es ihr nicht um die Ablehnung des Klassizismus. Vielmehr übernimmt sie ein für sie besonders faszinierendes Merkmal der historischen Gebäude, die sie in ihrer Jugend besichtigt hat: die fröhliche Hommage auf die Materialien – auf Bronze, Marmor und Stein – geschnitzt, gegossen und poliert, um die Egos der Mächtigen, der Medici, von Papst Pius III. und Ludwig XIV. zu befriedigen. Verzierungen und Ornamente empfand Natalia Miyar jedoch als Ablenkung. Nach dem Abschluss ihres Architekturstudiums an der University of Miami mit einem Master entschloss sie sich daher für einen elementaren und kühnen Designansatz als den besten Weg, das Potenzial dieser Materialien auszuschöpfen und unverwechselbare Räume zu schaffen, die die Persönlichkeiten ihrer Besitzer*innen widerspiegeln.

2007 zog sie nach London, wo sie ihren Weg zur Selbstfindung fortführte. Hier wurde ihr klar, dass sie ihren Karriereweg ändern und die unscharfe Trennlinie zwischen Architektur und Innenarchitektur überwinden musste. „Mein Interesse hört nicht bei der Gebäudestruktur auf, es richtet sich auch auf die unendlichen Möglichkeiten im Inneren, die enormen kreativen Freiraum bieten“, erklärt sie. Nachdem sie eine Weile für den Immobilienriesen Candy & Candy gearbeitet hatte, der hinter den Komplexen No 1 London, Noho Square und Chelsea Barracks steckt, wurde sie Designdirektorin beim Innenarchitekturbüro Helen Green Design, bevor sie sich sechs Jahre später selbstständig machte. Heute arbeitet sie mit einem Team aus Architekt*innen und Innenarchitekt*innen in einem Atelier in Chelsea mit Blick auf die Themse.

Statt jedoch der Architektur den Rücken zu kehren, nutzt Miyar ihr tiefes Verständnis für die berufliche Praxis als Fundament für ihre eigene Arbeit. Dies versetzt sie in die Lage, ein Projekt ganzheitlich zu betrachten, insbesondere, was die Beziehung zwischen einem Raum und seiner Einrichtung betrifft. „Die Wirkung, die ein paar Zentimeter Unterschied auf die Proportionen eines Raumes haben können, ist unglaublich“, sagt sie.

Von Natalia Miyar gestalteter Sitzbereich in einem Haus auf Ibiza.
Dieses Zuhause auf Ibiza wartet mit einem Sesselpaar aus den 1960er-Jahren von Branco e Preto aus Jacaranda-Holz, Vintage-Beistelltischen aus Marmor sowie einem maßgefertigten Teppich und von Miyar gestalteten Regalen auf. Foto: Ana Lui

Miyars Erfahrung und Kompetenz in beiden Disziplinen bedeuten, dass sie die Trennlinien zwischen ihnen ignorieren kann. Das ist allerdings nicht neu: Die Gebäude einige der weltweit bedeutendsten Persönlichkeiten im Bereich Architektur – Wren, Adam, Soane, Lutyens, Gray, Le Corbusier, Lloyd Wright – entstanden bis zum letzten Türgriff aus einer einzigen kreativen Vision heraus – sowohl außen als auch innen. Diese Herangehensweise verlor jedoch im vergangenen Jahrhundert mehr und mehr an Bedeutung, da die Bauplanung und die technischen Aspekte – ganz zu schweigen von den Vorschriften – ständig komplexer wurden.

Ihr multidisziplinärer Ansatz gestattete Miyar, ein erheblich größeres Spektrum an Möglichkeiten auszuloten und so am Menschen orientierte Interieurs zu schaffen, in denen – so hofft sie – die Stimmen ihrer Besitzer*innen zu erkennen sind. Maßfertigung ist daher ein zentraler Aspekt ihrer Vision: Die Objekte, die sie gestaltet, erzeugen eine unverwechselbare und einzigartige Raumwirkung. „Es gibt wohl kaum einen größeren Luxus als ein Objekt, das nur für einen selbst angefertigt wird“, sagt sie.  

Miyars Stil lässt sich leicht übertragen – in ihren beeindruckenden Interieurs treffen maßgefertigte Möbel auf Antiquitäten und Designobjekten aus der ganzen Welt. Ein Beispiel dafür ist ein auffälliges Detail in einem Projekt auf Ibiza: ein Paar maßgefertigte rustikale Türen, hergestellt aus Holz, das aus einem 300 Jahre alten Haus im italienischen Cremona regeneriert wurde. In anderen Räumen des Anwesens spulte Miyar rasch zwei Jahrhunderte vor: Ein Paar Branco e Preto-Sessel der 1960er-Jahre aus Jacaranda-Holz verleihen dem Raum eine eindeutig lateinamerikanische Ausstrahlung, und nebenan wird der matte Glanz von Bronze in zeitgenössischen Wandleuchten von Volker Haug hervorgehoben. Ibizas mildes mediterranes Klima macht natürliche Materialien besonders attraktiv: In einem anderen Projekt auf der Insel mildert ein einfacher Steintisch in der Bibliothek die Hitze des Tages.

Von Natalia Miyar gestaltetes Homeoffice in einer Wohnung in der Battersea Power Station
Im Homeoffice dieser Wohnung in der Battersea Power Station schafft eine handbemalte Wand in abstraktem Design den Rahmen für Miyars Maßobjekte, darunter ein individuell gefertigter Sessel und ein monumentaler Schreibtisch mit einer Messinglampe von Pierre Cardin. Die Stehlampe aus Messing und Muranoglas ist ein Vintage-Objekt. Foto: Simon Brown

In London erhielt Miyar Aufträge für einige außerordentlich prominente Projekte, darunter Wohnungen in der Battersea Power Station, dem ikonischen Bauwerk von Giles Gilbert Scott am Ufer der Themse. In diesem großzügigen Domizil, das mit einem atemberaubenden Blick auf die Hauptstadt gesegnet ist, bringen Travertintische ein fließendes Element in das geradlinige Interieur, während der eiserne schwarze Raumteiler für eine dramatische Komponente im Raum sorgt. 

Von Natalia Miyar gestaltetes Wohnzimmer
Im sonnendurchfluteten Wohnzimmer schuf Miyar einen Bereich zur Entspannung – mit einem U-förmigen Modulsofa und einem Paar Vintage-Beistelltischen aus Travertin. Foto: Simon Brown

Ein weiteres der viel beachteten Umgestaltungsprojekte von Miyar liegt gleich auf der anderen Seite des Flusses im Stadtteil Victoria: In dem Gebäude an der Palace Street Nr. 1, bei dem sich um ein einst prunkvolles Hotel aus dem Jahr 1860 handelt, transformierte sie eine elegante Wohnung. Hier lebte sie ihre Leidenschaft für das Design des späten 20. Jahrhunderts aus, unter anderem mit einem Rosa Dei Venti-Tisch von Mario Ceroli, in dem grafische Formen mit subtiler Textur verbunden sind. Im Wohnzimmer orientierte sie sich ein Jahrzehnt zurück und schuf mit einem Safari-Sessel von Arne Norell eine Aura des Reisens. Gemeinsamer Nenner der Objekte in der Palace Street ist – wie in allen ihren Projekten – die Würdigung der taktilen Eigenschaften der Materialien, sowohl der alten als auch der neuen. Auch auf Keramik legt sie ein besonderes Augenmerk, speziell auf die zeitgenössischen Arbeiten von Alison Lousada, die die sorgfältig ausgearbeiteten Interieurs noch interessanter machen. 

Esszimmer in London mit Kronleuchter aus Messing und Bronze und Tisch mit texturierter Platte und lackiertem Messingsockel – beide Objekte wurden von Miyar gestaltet.
Im Esszimmer in der Palace Street Nr. 1 sorgt ein Kronleuchter aus Messing und Bronze für Beleuchtung. Das Design stammt ebenso wie das des runden Esstischs mit texturierter Platte von Miyar. Das Gemälde stammt von Gustavo Acosta. Foto: Simon Brown

Aus Miyars Sicht ist ein Verständnis für Menschen, Orte und Materialien der Weg, um Interieurs zu schaffen, die nicht nur an die Vergangenheit erinnern, sondern auch in ihre Gegenwart passen – ob in London, Frankreich, Spanien oder in New York. „Egal, wo das Projekt angesiedelt ist“, erklärt sie, „Ausgangspunkt ist ein Versuch, sein Umfeld widerzuspiegeln.“ 

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