Designer-Spotlight

Jonathan Reeds Interieurs: klar, kunstreich – und selten zu sehen

Jonathan Reed

Jonathan Reed ist in der Öffentlichkeit mindestens ebenso zurückhaltend, wie seine Kundschaft prominent ist, deren Privatwohnungen er gestaltet. Gewerbliche Projekte übernimmt der britische Architekt und Innenarchitekt eher selten. Kürzlich lieferte er jedoch den Entwurf für das Musterpenthouse der von Richard Rogers geplanten Neo Bankside-Apartmenthochhäuser im Süden Londons (oben, Foto: Nick Guttridge).

Bei Jonathan Reed ist Google ziemlich planlos. Gibt man seinen Namen ein, so wird zuerst ein Dichter angezeigt, dessen Verse auch rückwärts gelesen werden können, an zweiter Stelle erscheint ein UFO-Jäger. Fügt man noch den Suchbegriff „Innenarchitekt“ hinzu, erscheinen lediglich zwei veröffentlichte Projekte: eine Yacht und sein ehemaliges Londoner Mietshaus – individuelle Wohneinheiten mit dem Charme eines Kurzwarengeschäfts. Und die Website seines Unternehmens Studio Reed besteht aus einer einzigen Seite mit nichts weiter als den Kontaktdaten. „Ja, ich mache mich rar“, gibt der zurückhaltende Designer mit dem grau gesprenkelten Bart zu, in dessen Kundenliste so illustre Namen wie Königin Rania und König Abdullah von Jordanien, David Bowie, Iman und Elle Macpherson stehen. Wie es sich für einen englischen Gentleman gehört, nennt er diese Namen nicht selbst. „Ich könnte nie sagen: ‚Diesen Look habe ich geschaffen, kaufen Sie also meine Möbel‘“, sagt Reed mit einem herzhaften Lachen. „Wir bieten unserer Kundschaft Möbel und Interieurs, die genau für diese Menschen, genau an diesem Ort und genau zu dieser Zeit gemacht sind.“ Am Schreibtisch sitzt der Architekt im Lanvin-Jackett auf einem Gymnastikball – nicht etwa auf den „Campaign“-Stühlen von Richard Wrightman, wie die meisten Mitglieder seines 40-köpfigen Teams in Reeds Büros in Chelsea. Dort (auf dem Schreibtisch) stapeln sich überzeugende fotografische Belege für seine ansonsten fast unsichtbaren Projekte. Hier zeigt er Bilder einer zweigeschossigen Galerie, mit der er zwei Räume in einem streng denkmalgeschützten historischen Gebäude des britischen Architekten Edwin Lutyens umgestaltet und verbunden hat. „Die handwerkliche Ausführung und die Auswahl der Materialien waren fantastisch“, kommentiert Reed die Arbeit des Architekten, „doch die funktionale Gestaltung war armselig.“ Reed verkleidete den Raum mit schimmernden, luftgetrockneten Paneelbrettern aus englischer Eiche mit stehenden Jahresringen, um den Arts and Crafts-Einflüssen gebührenden Respekt zu erweisen. „Auf diesen Stil beziehe ich mich immer wieder“, merkt er an. „Es geht dabei nicht so sehr um die ästhetische Verbindung, sondern um die Arbeit mit Menschen, die ihr Material und ihr Handwerk verstehen.“
Jonathan Reed

Für die lichtdurchflutete Küche der Remise entwarf Reed einen Arbeitsbereich mit Industriecharakter – die Arbeitsplatten auf den Theken sind aus Beton. Der Glas- und Stahlhocker stammt von Alison Berger, der Kunstdruck von Bridget Riley. Foto: Luke White

Apropos Material: Für ein Strandhaus in Kuwait hat Studio Reed, dessen Dienstleistungen sowohl Architektur als auch Interieurs umfassen, eine über sieben Meter hohe Fassade aus Gussbronze entworfen. Für die Inneneinrichtung wurden unter anderem Konsolentische aus gezogenem und zu Bändern gedrehtem Cortenstahl verwendet sowie in England pflanzlich gefärbte Nesselvorhänge aus dem Himalaya und ein dekoratives Wandmosaik aus 4,5 Millionen Einzelfliesen. Inspiriert von in der Region heimischen Gräsern und Insekten bat Reed die Handwerker, die Wände des Esszimmers mit Schnitzereien aus Holz und Gips zu versehen, um ein Feld mit Rohrkolben und silbernen Libellen zu schaffen. Die originalgetreu gegossenen Libellen erhielten Flügel aus Irismuscheln und Perlmutt. „Zur Zeit erleben wir einen sehr starken Wunsch nach Dingen, die sichtbar von Menschenhand gemacht sind“, sagt Reed, dessen Büro mit ebensolchen Kuriositäten gefüllt ist. Unter anderem mit: Teppichen aus Lamm- und Yakhaar, erworben von einer Hirtin in Bhutan, einer aus einem Zylinderhut angefertigten englischen Theatermaske, einem Gänsestall, in dem es sich sein Hund Harris gerne gemütlich macht, und einer von Fritz Lang inspirierte Industrie-Schreibtischlampe. „Mein Büroteam hat sie mir zum Geburtstag geschenkt“, sagt Reed und lächelt. „Sie soll für meinen Charakter stehen, denn sie sieht aus wie ein Folterinstrument.“ Obwohl er einzigartige Objekte und individuelles Design bevorzugt, schätzt Reed Antiquitäten. „Im Büro hört man mich oft meckern: Fangen Sie nicht an, einen Sessel oder ein Sofa zu entwerfen, bevor sie wissen, wie so ein Möbel hergestellt wird“, erklärt er. „Wenn Sie sich inspirieren lassen wollen, holen Sie sich ein altes Exemplar und schauen Sie es sich an.“ Für Antiquitäten, die er in seinen Einrichtungen verwendet, gibt es nur einen Maßstab: Sie müssen fantastisch sein. 1stdibs hat seiner Meinung nach die Messlatte höher gelegt, „weil die Leute sich jetzt Dinge anschauen können, die sie früher nur zu sehen bekommen hätten, wenn sie die Welt bereisten.“ Viele seiner Kund*innen sammeln europäisches Design des 20. Jahrhunderts. „Prouvé und die dänischen Designer*innen wussten, wie man Dinge entwirft und verfeinert, sie aber gleichzeitig einfach und ehrlich gestaltet“, stellt Reed fest. „Das ist entscheidend für das, was ich mag und für das, was wir tun. Wenn wir ein Interieur gestalten können, in das sich diese Dinge nahtlos einfügen – großartig. Das bedeutet aber nicht, dass wir nicht auch weitere Arts and Crafts-Möbel integrieren würden, denn die Objekte kommunizieren miteinander.“
Jonathan Reed

Viele Wände im NEO Bankside-Penthouse sind mit Kupfer mit Grünspanpatina verkleidet. Das Sofa stammt von Vladimir Kagan, der Tisch aus polierter und patinierter Bronze von Studio Job. Alle NEO Bankside-Fotos: Nick Guttridge, mit freundlicher Genehmigung von Native Land and Grosvenor

 


„Im Büro hört man mich oft meckern: Fangen Sie nicht an, einen Sessel oder ein Sofa zu entwerfen, bevor sie wissen, wie so ein Möbel hergestellt wird. Wenn Sie sich inspirieren lassen wollen, holen Sie sich ein altes Exemplar und schauen Sie es sich an.“ 


Jonathan Reed

Glaswände lassen das Licht auf den gläsernen Treppen- und Plattformgeländern des NEO Bankside-Penthouse funkeln. Die Hängelampen stammen von Nendo. Foto: Nick Guttridge

Was zeitgenössisches Design angeht, ist Reed ebenso kompetent: Gerade hat er einen Auftrag für ein Penthouse auf den Neo Bankside-Apartments südlich der Themse abgeschlossen, dessen Preis mit knapp über 30 Millionen Dollar angegeben wird. „Wir haben uns dies als ein Zuhause für Menschen vorgestellt, die Design lieben“, erklärt er sein Lieblingsobjekt, ausgewählt aus der Robber Baron-Kollektion 2007 von Studio Job. „Es ist ein Bronzetisch in Form des Battersea-Kraftwerks“, freut sich Reed, „die Tischplatte besteht aus einer goldenen Wolke aus verpesteter Luft.“

Der Schauplatz von Reeds ästhetischer Bildung war eher ländlich: Er wuchs „mitten im Nichts in einem Bauernhaus in den Mooren, etwa 50 Meilen nördlich von York“ auf, umgeben von rauer Landschaft und robusten Feldsteinhäusern. „Ich hatte zwei Interessen: Tiere und Architektur“, erinnert er sich. „Mein Vater war Ingenieur, er gab mir einen Block Millimeterpapier und ich fing an, Skizzen zu zeichnen.“ Er kam nach London und studierte Physiologie am King‘s College. Um nebenbei ein bisschen Geld zu verdienen, erinnert er sich, „verkaufte ich alten Plunder.“

Zu seinen Kunden gehörten Ralph Lauren und die Gründer von Hackett Menswear, und schon bald beauftragten ihn beide Modehäuser damit, Shops zu gestalten. „Die Idee war, eine Atmosphäre zu schaffen, in der Menschen leben wollten“, erläutert Reed, der die Gestaltung der Interieurs für die Ralph Lauren-Einrichtungsgeschäfte in Europa koordinierte und für Hackett als Creative Director tätig war. „Dies führte schließlich zur Gestaltung von Wohnhäusern.“ Im Jahr 1993 gründete er Reed Boyd, ein Beratungsunternehmen für die Gestaltung von Ladengeschäften, das mit Asprey und Valentino zusammenarbeitete. Drei Jahre später eröffnete er Studio Reed. „Ich hatte keine formale Ausbildung in der Innenarchitektur, doch in zwanzig Jahren sammelt sich viel Wissen an“, sagt Reed. „Ich hatte schon immer eine Vorliebe für Dinge, die der Natur entstammen, daher verwende ich immer eher gedeckte Farben und unregelmäßige Texturen.“

Auch als sicherlich weltgewandter Mensch bleibt Reed in seinem Herzen doch ein Junge vom Land. „Ich bin zutiefst allergisch gegen die Stadt. Hier zu leben macht dich verrückt“, sagt der Designer, der auch dem digitalen Zeitalter ambivalent gegenübersteht. „Das Internet lässt viele Menschen glauben, dass sie schon viel gesehen hätten“, seufzt er, „aber in Wirklichkeit nehmen sie ihre Umgebung überhaupt nicht wahr.“ Auf der Suche nach Inspiration gehen er und sein Partner, Modedesigner und Luxusmarkenberater Graeme Black im Lake District oder in Schottland wandern und verbringen so viel Zeit wie möglich in Reeds Haus und Garten in den Yorkshire-Mooren. In dieser Region erlernte er die traditionelle Technik, Steinwände ohne Mörtel zu errichten. „Ich habe einige Wände gebaut“, sagt er, „und dabei erfahren, was dies für ein schwieriges Handwerk ist.“ Design ist für Reed ein Dialog und eine Disziplin, die sich jeder Herausforderung stellt. „Wenn es darum geht, fantastische, langlebige Dinge zu erschaffen“, so Reed, „sage ich: immer her damit.“


Jonathan Reeds Schnellauswahl auf 1stdibs

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