Kunst

Pierre Le-Tans aufschlussreiche Beobachtungen in Bezug auf exzentrische Sammler*innen sind in einem neuen Buch zusammengefasst

Im Rahmen meiner journalistischen Tätigkeit für die Bereiche Kunst und Kultur habe ich fast 30 Jahre lang Interviews mit Sammler*innen geführt. George Way, der tagsüber als Fleischer in einem Pathmark-Supermarkt arbeitete, war einer der Ersten. Er verbrachte einen Großteil seines Lebens damit, niederländische und englische Antiquitäten in Museumsqualität, insbesondere des 17. und 18. Jahrhunderts, aufzuspüren und zusammenzutragen, um dann in seiner bescheidenen Wohnung auf Staten Island Platz dafür zu finden. 

Am anderen Ende der Berühmtheitsskala hatte ich das Glück, mit Helen Frankenthaler, Ellsworth Kelly, Frank Stella und vielen anderen Künstler*innen sprechen zu können – nicht nur über ihre Kunst, sondern auch über die Werke anderer, die sie erworben hatten, die sie liebten und mit denen sie lebten. 

Englischer Einband des Buches „Quelques collectionneurs“ von Pierre Le-Tan
The cover of A Few Collectors by Pierre Le-Tan, translated from the French by Michael Z. Wise

And yet I found A Few Collectors, comprising 20 profiles lovingly written and illustrated by Pierre Le-Tan, a complete revelation. Reissued by New Vessel Press, the volume is one of most charming and haunting I’ve ever read, a must-have for any collector, dealer or lover of art. It leaves a strange emotional residue, helping the reader understand the fundamental beauty and necessity of collecting while also revealing its transitory nature.

Le-Tan (1950–2019), der Zeit seines Lebens in Paris wohnte, war ein weltbekannter Illustrator, der allein 18 Titelseiten für den New Yorker entwarf, die erste davon bereits im Alter von 19 Jahren. Im Jahre 2004 war ihm eine Retrospektive im Madrider Museum Reina Sofía gewidmet. Quelques collectionneurs war ursprünglich 2013 in französischer Sprache erschienen und liegt nun in der englischen Übersetzung von New Vessel-Gründer Michael Z. Wise vor. 

Le-Tans Zeichnungen waren unter Kenner*innen für ihre Kreuzschraffur berühmt, die feinste Details schaffte. Quelques collectionneurs belegt jedoch, dass es vor allem seine eigenwilligen und sparsamen Kompositionen waren, die ihn künstlerisch einzigartig machen.

Illustration einer Schachtel mit Zigarettenstummeln
Diese Schachtel mit Zigarettenstummeln schenkte Picasso dem Dichter Boris Kochno während der deutschen Besetzung von Paris.

In seinem Kapitel über den Londoner Sammler Eliot Hodgkin – ein Künstler und Verwandter des abstrakten Malers Howard Hodgkin – zeigt die Hauptillustration die beiden im Text besprochenen Werke nur teilweise: eine Zeichnung von Rubens und ein Gemälde von Hodgkin selbst. Mit abgebildet ist der Schwanz einer vermutlich zufällig vorbei spazierenden Katze.

In diesem Kapitel, das wie alle anderen mit etwa zehn Abschnitten recht kurz ist (Le-Tan arbeitet als Autor ebenso sparsam wie als Illustrator), findet sich ein Satz mit einem subtilen Hinweis auf die Motivation des Buches: „Viele Sammlungen sind bloße Anhäufungen, die durch Zufall oder Reichtum entstanden sind“, heißt es dort, mit dem impliziten Verweis darauf, dass der Schwerpunkt des Autors ein anderer ist: die kleine Gruppe von Sammler*innen, die dieses Muster durchbrechen. Was Le-Tan fasziniert, ist Leidenschaft – mit all der Irrationalität, die ihr innewohnt. Im Buch findet sich lediglich ein Sammler, von dem man erwarten könnte, dass Leser*innen von ihm gehört haben: Pierre Rosenberg, ein früherer Direktor des Louv/re und Sammler von Muranoglas-Objekten. Auf ihn verweist Le-Tan nur als „Pierre R.“.

Eine Illustration von Le-Tan einer Rubens-Zeichnung und eines Gemäldes von Eliot Hodgkin
Zur Sammlung von Eliot Hodgkin gehörte eine Zeichnung von Peter Paul Rubens.

Schon im ersten Kapitel wird deutlich, dass es hier nicht um eine typische Zusammenstellung von Sammlerpersönlichkeiten geht. Genannt sei hier die Familie Schenker-Angerer aus Paris: Die Ehefrau trug den Titel Prinzessin von Brioni. Ihre königliche Abstammung steht im Zusammenhang mit einer Insel vor der Küste des ehemaligen Jugoslawiens. Die adelige Familie hatte jedoch schwere Zeiten durchlebt und fast ihren gesamten Besitz verkaufen müssen. 

Le-Tan beschreibt die verblassten Rechtecke an den Wänden, wo einst die großartigen Bilder hingen, und erinnert sich an seine Gespräche mit dem Paar, das über die leeren Flächen sprach, als seien die Werke noch dort. (Nur ein einziges Bild war verblieben, eine Zeichnung aus dem 18. Jahrhundert im Stil von Tiepolo.)

Am Schluss des kurzen Texts merkt er an, dass die Prinzessin ihre falschen Wimpern verkehrt herum aufgeklebt hatte. Aber Le-Tan ist nicht darauf aus, sich über seine Protagonist*innen lustig zu machen. Er schreibt, dass die Wimpern ihre Augen mit einem „bezaubernden Gitterwerk“ bedeckten. Worauf es ihm ankommt, ist, dass die Sammlung durch ihre Qualität, durch die Liebe und Hingabe der Käufer*innen zu etwas Besonderem wird. Diese Dinge bleiben erhalten, unabhängig davon, ob die Gemälde noch präsent sind. 

Le-Tan muss weder den* Sammler*in noch die Sammlung mögen, um sie in seinem Buch zu erwähnen. So schreibt er beispielsweise über den vielfältigen Fundus eines Sammlers, den er nur „Edouard M.“ nennt, und dessen Kollektion unter anderem das Nacktfoto einer Schauspielerin und ein Kriegsschiffsmodell enthielt: „Keines dieser Objekte lässt uns gleichgültig.“ Für Le-Tan reicht das aus. Im Pariser Zuhause von Jacques Bixio entdeckt er eine gewaltige Puppensammlung, die, wie er schreibt, „wie Kakerlaken in die Räume eingedrungen“ seien. Da er sich von den Augen der Puppen „bedrängt fühlt“, erfindet er eine Ausrede, um die Wohnung verlassen zu können. 

Das Ungewöhnliche wird zelebriert, das Eigenwillige auf die Spitze getrieben. Pedro Duytveld, den Le-Tan in der Bahn kennenlernt, erweist sich – schwer zu glauben – als Sammler zusammengeknüllten Papiers. Aus Le-Tans Zeichnungen geht hervor, dass Duytveld seine Objekte mit einem Datum und anderen Informationen zur Identifizierung versah. Scheinbar ging es ihm darum, die Zeit zu protokollieren, ähnlich wie die auf einfarbige Hintergründe gemalten simplen Kalenderdaten des japanischen Konzeptkünstlers On Kawara.

Es überrascht nicht, dass auch Le-Tan ein Sammler war – und noch dazu ein sehr ernsthafter. Er widmet sogar sich selbst ein Kapitel. Sein persönlicher Glücksbringer war eine Tabakdose, die er als Kind erhielt. Mit dieser wertvollen ersten Trophäe bildet er sich ab. Er berichtet, dass er Tausende von Objekten erworben hatte – von Jean-Michel Frank-Möbeln bis hin zu Lucien Freud-Zeichnungen, von denen er zum Zeitpunkt der Entstehung des Buches nicht mehr viele besaß. 

Illustration mit Darstellung von Umberto Pasti, der eine Iznik-Fliese hält
In Italien entdeckte Le-Tan Umberto Pastis Sammlung islamischer Fliesen.

Sammeln ist „sowohl enorm wichtig als auch völlig nutzlos“, schreibt Le-Tan und irgendwie auch „der einzige Sport, der zu mir passt“. 1985 verkaufte er seine surrealistischen und neoromantischen Gemälde bei Sotheby’s in London. Er ist einer der ganz wenigen Künstler, der den Einband seines Auktionskatalogs liebevoll selbst gezeichnet hat. Dieser wird auch in diesem Buch gezeigt. (Im März 2021 wurde sein Nachlass ebenfalls bei Sotheby’s versteigert.)

Die entscheidende Botschaft von Quelques collectionneurs ist, dass wir nur temporäre Treuhänder*innen der Objekte sind, die wir ansammeln. So setzt Le-Tan unter ein Selbstporträt des japanischen Malers Toshio Bando, das er verkaufen musste, die Worte Sic transit gloria mundi — „So vergeht der Ruhm der Welt“. Mit seinem Tod erhält dieses Zitat einen neuen poetischen Sinn.

Doch die Quintessenz dieses seltsamen und wunderbaren Buches ist nicht, dass wir nicht sammeln sollten. Wir können nicht anders als sammeln, und wir sollten es mit Demut und einer sanften Kontrolle über die Objekte tun, die wir in unser Leben holen.

Loading next story…

No more stories to load. Check out The Study

No more stories to load. Check out The Study